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Zwischen Burn-Out und Bore-Out

Vier Wochen sind wir nun alle gemeinsam im „harten Lockdown“, doch leider fühlt es sich für viele Menschen so gar nicht gemeinsam an. Im Gegenteil. Den meisten Menschen fehlt der physische Kontakt zu anderen Menschen, Freunden, Mitarbeitern und Familienmitgliedern außerhalb der Kernfamilie so sehr, dass es beinahe schon schmerzt. Und dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man weiß, wie sehr wir Menschen schon aus der Evolutionsgeschichte heraus von einem sozialen Miteinander abhängig sind. Oder wie eine gute Freundin und geschätzte Kollegin von mir diese Woche meinte: „Selbst wir Introvertierte brauchen wohl doch Menschen um uns herum“. 

 

Kannst Du Dich noch an die Zeit von vor circa 1,5 Jahren erinnern? Da waren zwei Wörter besonders hipp und mit einer Luxus-Lebensgestaltung verbunden: „hygge“ und „cocooning“. „Hygge“ kam damals aus Dänemark hier angespült und bedeutet soviel wie „gemütlich“ und „cocooning“ (= „verpuppen“, „sich einspinnen“) wird definiert als „besonders von Trendforschern bezeichnete Tendenz, sich vermehrt aus der Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen“.

 

Und jetzt haben wir die besten Voraussetzungen dafür, diese zwei Trends endlich in all der bisherigen Hektik in unser Leben integrieren zu können und es fühlt sich schrecklicher an denn je. Ja was jetzt? Was ist denn bloß los mit uns? Können wir nicht den Moment genießen? Müssen wir denn immer jammern statt dankbar zu sein für das, was wir haben? Können wir nicht mal auf das sehen, was wir in einer Situation vom Leben geschenkt bekommen haben, statt immer nur den Blick auf das zu richten, was fehlt? 

 

In meiner „social-media“-Coach-Blase kann ich auf jedem zweiten Kanal in jedem dritten Post lesen, dass wenn wir dankbar sind, die Energie wieder durch unseren Körper fließen kann und der Geist sich öffnet. Im Grunde genommen ist das schon richtig. Aber für viele Eltern fühlt es sich genauso unpassend und unwirklich an, wie für Mütter kleiner Babys, die wenig Schlaf bekommen, deren Leben anfangs Kopf steht, die mit hormonellen Schwankungen zu kämpfen haben und denen dann gesagt wird „genieß die Zeit – sie ist so schnell vorbei“. Ja, für Außenstehende, emotional Unbeteiligte und in anderen Lebensabschnitten lebende Eltern ist diese Sichtweise absolut nachvollziehbar, doch der Säuglingsmutter bringt das meist recht wenig. Im Gegenteil. Denn zu ihrer Erschöpfung kommt dann noch ein schlechtes Gewissen mit zermürbenden Gedanken hinzu „eigentlich sollte ich ja (genießen/ mich freuen/ dankbar sein)…“, „wieso gelingt es anderen, nur mir nicht“, „was mache ich falsch“ und dann verstärken sich die negativen Emotionen zusätzlich. 

 

Also frage ich Dich jetzt einfach mal: Bist Du noch dankbar oder bist Du schon mürbe? Und egal, wie Deine Antwort gerade ausfällt, lass sie einfach mal einen Moment im Raum stehen, ohne gleich wieder korrigierende Gedanken aufziehen zu lassen. Denn meist kommt sofort der Oberchef-Gedanke von nebenan und fängt an, belehrend auf Dich einzureden mit „ja aber…“ und dergleichen. Es ist, wie es ist. Du bist müde? Ja natürlich ist man müde, wenn man permanent am Arbeiten ist. Du hast Rücken-/ Schulterschmerzen? Ja natürlich macht sich der Körper bemerkbar, wenn Du so viel Verantwortung trägst, wie Du wahrscheinlich noch nie in Deinem Leben zuvor getragen hast. Du kannst nicht schlafen? Ja natürlich kannst Du nur unglaublich schlecht in den Ruhe- und Erholungsmodus umstellen, wenn Dein Leben gerade aus den Fugen geraten ist, Du Dir Sorgen um Deine Kinder, Deine Eltern, Deine Freunde, Deine Gesundheit und/ oder Deine Zukunft machst. 

 

Und das ist ja die Quadratur des Kreises: wir liegen eben nicht zu Hause rum, essen und warten, bis die Pandemie vorbei ist, wie sie uns der missglückte Corona-Spot Ende letzten Jahres hat weiß machen wollen (hast Du ihn gesehen?). Unglaublich! Ja, „draußen“, also im öffentlichen Alltag mag die Welt stillstehen (natürlich tut sie das nicht!), aber „drinnen“, in unseren Familien eben ganz und gar nicht. Da toben die Gefühle hoch und runter, da herrscht (man mag es kaum glauben, es ist aber in manchen Familien so!) Zeitknappheit, da ist gefühlt alles dicht an dicht und mit mehreren Personen wochenlang im eigenen Zuhause „auszuharren“ ist irgendwann auch ganz schön eng – mal abgesehen von der Unordnung, die selbstverständlich viel schneller anwächst, wenn mehrere Personen zu Hause sind. Neue Haustiere der meisten: Wollmäuse.

 

Wenn es "früher" irgendwie mal gekriselt hat, war es ja nicht so dramatisch, denn wir sind zur Arbeit gegangen, die Kinder in Schule, in den Kindergarten und/ oder zu Ausbildung, gemeinsame Aktivitäten haben uns wieder zusammengeschweißt, neue Einflüsse kamen permanent von außen in die Familie dazu, bei manchen war es sogar ein Kommen und Gehen. Es ist auf jeden Fall immer genügend Ablenkung von vielen Seiten vorhanden gewesen und wenn nicht, war genügend Termin- und Freizeitstress greifbar. 

 

Das ist im Moment für uns alles nicht vorhanden. Und unser Alltag läuft so schematisch ab, dass man auch glatt mal vergessen kann, welcher Wochentag heute ist (mir ist das jedenfalls schon das ein oder andere Mal so ergangen). Unterm Strich könnte man auch sagen, dass wir derzeit in einer ganz vertrackten Situation aus „Burn-out“ und „Bore-out“ sind, also einer Mischung aus „ausgebrannt sein“ und „sich zu Tode langweilen“. Beides bedeutet Stress für unseren Körper. 

 

Und jetzt kommst Du ins Spiel. Ja, Du ganz persönlich. Denn Du hast immer noch das Heft in der Hand, Du bist der Chef über Dein Leben, nicht umgekehrt. Egal welche Umstände im Leben auf dich warten, Du kannst sie nicht ändern, aber Deine Einstellung, Haltung und Handlungen dazu sehr wohl. Denn das, was ich oben beschrieben habe, ist der typische Tunnelblick, den wir fast alle haben, wenn wir in Schwierigkeiten sind (ja, klar, auch ein evolutionsbedingtes Erbe). In der Psychologie heißt das dann „Problemtrance“, d.h. wir starren wie paralysiert nur auf das Problem – und machen es dadurch noch größer. 

 

„The Energy flows where the attention goes” – die Energie folgt der Aufmerksamkeit. Das ist nicht nur in der Quantenphysik so, sondern bei jedem einzelnen von uns auch. Der erste Schritt Richtung Verbesserung ist also, dass wir uns bewusst sind, dass unser Tunnelblick nicht die Welt ist, sondern einfach unsere momentane Sicht auf die Welt. Das ist schon die halbe Miete. Der zweite Schritt ist, dass Du Dir jeden (!) Tag eine kleine Auszeit vom Hamsterrad nimmst. Mach etwas (und wenn es noch so klein ist), das Deine Batterien auflädt, das Dir ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubert, das Dich durchatmen lässt. Steter Tropfen höhlt den Stein. Und der dritte Schritt ist, dass Du immer wieder den Kontakt zu den Menschen herstellst, die Dir Kraft geben, Dich ermutigen, Dir zuhören und Verständnis für Dich haben. Zieh Dich nicht zurück, besonders nicht, wenn es Dir mal nicht so gut geht! Sondern ganz im Gegenteil, gerade dann greif zum Telefonhörer, verabrede Dich zum Videotel oder Waldspaziergang. Die Erfahrung und auch Studien zeigen es immer wieder: der Spiegel der Stresshormone geht deutlich zurück, wenn Du vertraute Menschen um Dich herum spürst.

 

Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende

wünscht Dir Corinna

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Kommentare: 2
  • #1

    Silvia (Freitag, 05 Februar 2021 09:34)

    Also du die Gedanken und Gefühle von mir und bestimmt auch vielen anderen Menschen im Moment lesen könntest...so kam mir meine Woche vor!
    Danke für die Tipps! Liebe Grüße �

  • #2

    Christine (Samstag, 06 Februar 2021 17:46)

    Danke, lb. Corinna für die vielen positiven Anregungen zur Selbstfürsorge - Vieles geht im sog. Alltagsallerlei unter; es tut gut, wenn man sich dessen wieder erinnert bzw. daran so einfühlsam erinnert wird. In allem ruht auch viel Gutes, man sollte dies nicht außer Acht lassen.