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Was wir aus der Adventszeit fürs Leben lernen können

Vorfreude ist doch immer noch die schönste Freude! Das trifft ganz besonders auf die Adventszeit zu, die am kommenden Sonntag beginnt. „Advent“ kommt ja aus dem Lateinischen und heißt übersetzt „Ankunft“. Aber eigentlich heißt Advent für Familien und ihre Kinder meistens „Warten“. Und warten können ist in unserer heutigen Zeit der schnellen und ständigen Verfügbarkeit gar nicht so einfach und darüber hinaus befinden wir alle uns eigentlich sowieso schon seit Monaten in einer Art Wartemodus.

 

Und doch macht gerade "das Warten" letztlich die Adventszeit so prickelnd, so emotional, so ganz einzigartig. Denn all die Adventskalender, Haus-Dekorationen, Backaktionen, Geschichten lesen und Adventskränze würden ihren Sinn verlieren, wenn wir uns nicht auf der Zielgeraden Richtung Weihnachten befinden würden. Das Große, das Wichtige, das Fest der Feste kommt erst noch. Und diese Zeit bis dahin, die gerade für unsere Kinder sich gefühlte Ewigkeiten strecken kann, gilt es zu überbrücken, um einerseits diese Wochen nicht zu lang werden zu lassen und andererseits dieser Vorfreude Ausdruck zu verleihen.

 

Ich möchte mit Dir heute das Thema „Warten“ mal etwas genauer in den Blick nehmen. Denn wir als Eltern wissen, wie anstrengend und herausfordernd dies für unsere Kinder sein kann. Da gibt es unzählige Situationen, in denen uns die Kinder immer wieder fragen „Wie lange dauert´s noch?“ oder „Wie lange muss ich denn noch warten?“ Das gleiche fragen wir Eltern uns übrigens auch viele Male am Tag, z.B. wenn wir unser Kind rufen und es einfach nicht kommt. Immer wenn wir warten, verändert sich unsere subjektive Zeiteinschätzung, wir werden ungeduldig und wollen den Zielzustand am besten sofort erreichen. So ganz allgemein kann man sagen, dass Warten immer eine kleine Mini-Krise in jedem von uns auslöst. 

 

Warten will geübt sein, diese jeweiligen Mini-Krisen wollen gemeistert werden. Und dafür haben wir uns im Laufe des Lebens doch so einige Strategien angeeignet. Und auch unseren Kindern wird dies nicht in die Wiege gelegt. Geduld ist bei Kindern (und auch bei manchem Erwachsenen) bekanntlich nicht die allergrößte Stärke. Kennst Du eigentlich das „Marshmallow-Experiment“ aus den 70er-Jahren von Walter Mischel (amerikanischer Psychologe)? 

 

In diesem Experiment wurden vierjährige Kindern mit einer Süßigkeit für einige Minuten in einem Zimmer allein gelassen. Ihnen wurde gesagt, dass sie als Belohnung eine weitere Süßigkeit erhalten, wenn sie es schaffen, in der Zeit des Alleinseins die Süßigkeit nicht zu essen. In diesen wenigen Minuten wurden die Kinder durch eine Einwegscheibe beobachtet, weil man wissen wollte, wie sie sich verhielten. Für die Kinder war das nachvollziehbarerweise superschwer auszuhalten und die meisten haben nach kurzer Zeit doch zur Süßigkeit gegriffen. Diejenigen Kinder allerdings, denen es gelungen war, nicht sofort ihrem Bedürfnis nachzugeben, sondern auf die Belohnung zu warten, hatten etwas anders gemacht als ihre Altersgenossen. Ihnen ist es nämlich gelungen, diese Zeit des Wartens zu gestalten und so diese erlebte Minikrise zu überbrücken. Diese Kinder wurden nach 20 Jahren übrigens nochmal aufgesucht, weil ein Forschungsinteresse darin bestand, was aus ihnen geworden ist. Interessanterweise unterschied sich diese damalige Gruppe auch zwanzig Jahre später von ihren Altersgenossen: sie waren u.a. gesünder, beruflich erfolgreicher und hatten stabilere soziale Beziehungen.

 

Wieso erzähle ich Dir das heute? Ich erzähle es Dir, weil die Adventszeit, wie wir sie erleben und gestalten, nicht immer so gelebt wurde. Früher war die Adventszeit eine sehr karge und schlichte Zeit, manche haben sie sogar als eine Art Fastenzeit genutzt, um sich auf Weihnachten vorzubereiten. Erst im 19. Jahrhundert kam man auf die Idee, diese Zeit den Kindern ein wenig zu versüßen oder gefühlt zu verkürzen. Und darauf greifen wir ja heute auch zurück. Es ist doch einfach nur schön, wenn die Kinder jeden Morgen mit leuchtenden Augen ihre Adventskalender öffnen, wenn sie aus vollem Herzen die einschlägigen Lieder hoch und runter singen, wenn sie Briefe ans Christkind schreiben und malen, wenn sie Dir den ganzen Küchenboden voller Mehlstaub nach dem eifrigen Plätzchenbacken hinterlassen (naja, das war jetzt ein wenig zu viel Romantik), wenn sie sich einfach mit offenen Herzen durch diese heimelige Zeit bewegen. Da können wir uns eigentlich nur anstecken lassen und nicht umsonst hat der Adventskalender in allen Varianten mittlerweile Einzug in die Erwachsenenwelt gehalten. In dieser Zeit dürfen wir einfach wieder mal das innere Kind fühlen und das ganz ohne schlechtes Gewissen oder gesellschaftliches Augenrollen.

 

Die Frage, die wir uns allerdings stellen könnten, ist, ob wir das dieses Jahr bei all den Geschehnissen überhaupt dürfen oder sollten. Schließlich ist uns derzeit ja allen nicht nach Lachen zumute. Aber wie sagte schon der bayrische Komödiant Karl Valentin: „Ich freue mich immer, wenn´s regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Wenn Dir das jetzt zu oberflächlich ist, lass mich noch ein anderes Zitat vom amerikanischen Philosophen Reinhold Niebuhr anführen: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Zwei Zitate aus komplett verschiedenen Richtungen, die meines Erachtens aber in die gleiche Richtung zielen. 

 

Also, nimm diese Zeit nun als eine ganz Besondere, mache wenn es Dir möglich ist, ganz besondere Erfahrungen, die es so vielleicht für Dich noch nie gegeben hat und überlege, was Du nun tun darfst, damit Du irgendwann rückblickend sagen kannst, dass es zwar nicht einfach war, dieses 2020, dass Du aber unter den vorherrschenden Bedingungen das Beste für Dich und Deine Lieben rausgeholt hast, was zu diesem Zeitpunkt möglich war. 

 

Wartezeiten, Überbrückungszeiten, Leerlaufzeiten, sie alle sind Mini-Krisen, die wir nicht nur ertragen, sondern sogar gestalten können. Jede und jeder auf seine ganz eigene Art und Weise. Sei kreativ, sei mutig, sei experimentierfreudig! Lass Dich von der Lebendigkeit Deiner Kinder anstecken und sorge gut für Dich in dieser Zeit, in der Du immer wieder auch Deinen eigenen Bedürfnissen nachgehen darfst (komm, 10min am Tag sind immer drin!). Nimm es doch vielleicht auch einfach mal als tolle Gelegenheit, die Advents- und Weihnachtszeit in kleinen Details ein wenig anders zu gestalten. Denn noch nie war es so einfach wie jetzt, unliebsame (Familien-)Traditionen - ganz unauffällig versteht sich natürlich - unter den Tisch fallen zu lassen. Und was sich als gut bewährt hat, das behalte! Gerade das Vertraute hilft uns durch Krisenzeiten hindurch, weil es uns ein Gefühl der Normalität verschafft. Und da sind Rituale natürlich Gold wert! Darüber mehr nächsten Freitag...

 

Heute wünsche ich Dir und Deinen Lieben erstmal einen tollen Start in die Adventszeit!

 

Herzliche Grüße,

Deine Corinna

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Kommentare: 1
  • #1

    Nadine (Freitag, 27 November 2020 14:39)

    Mal wieder auf den Punkt gebracht - jetzt muss es nur noch umgesetzt werden.
    Aber mit solch einem schön geschriebenen Anstoß fällt das vielleicht gleich leichter. ;-)
    Dankeschön und herzliche Grüße!