· 

Wir müssen mal reden...

Wenn wir bei Facebook den Beziehungsstatus zwischen uns Eltern und unseren Jugendlichen angeben müssten, würden die meisten von uns höchstwahrscheinlich auf „es ist kompliziert“ klicken. Das gilt wohl für beide Seiten. 

 

Wer Kinder im Jugendalter bei sich zu Hause wohnen hat, bei dem kracht es hin und wieder gewaltig! Da geht es rund, da knallen Türen, da gibt es eine Mischung aus Schreien und Sprachlosigkeit und manchmal kommt man sich vor wie im falschen Film oder in einer lebendig gewordenen Soap. 

 

Das Jugendalter ist eigentlich die Identitätskrise par excellence! Und wenn diese Entwicklungskrise, die geprägt ist durch Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt, durch Identitätsfindung und Abnabelung von der Herkunftsfamilie, in eine Zeit von Lockdown und social distancing fällt, dann ist es auch kein Wunder, dass alle Beteiligten zeitweise an ihre Grenzen kommen - oder darüber hinaus. 

 

Daher ist es höchst erstaunlich, dass gerade im letzten Jahr die Familien mit Kindern dieses Alters medial scheinbar irgendwie vergessen wurden?! Auf eine gute Betreuung unserer kleinsten Kinder hinzuweisen, deren Bedürfnisse im Blick zu behalten, für sie da zu sein und ihnen gute Entwicklungsoptionen zu ermöglichen, ist unglaublich wichtig und wahnsinnig anstrengend zugleich. Und wenn sie uns dann mit ihren wunderschön-kindlichen Gesichtern anstrahlen und wir sie glücklich sehen, ist meist alles andere vergessen. 

 

Doch unsere jugendlichen Kinder können mit diesem Bonus hingegen leider nicht aufwarten. Diese empfinden wir (als Gesellschaft) häufig als anstrengend, nervig und unbequem. Interessanterweise war es schon zu allen Zeiten so, dass sie nicht den besten Ruf bei Erwachsenen haben. Ob auf babylonischen Tontafeln vor tausenden von Jahren, bei den alten Griechen oder in der heutigen Zeit, der Wortlaut ist oft ähnlich: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer“ (Sokrates, 470 – 399 v.Chr.).

 

Das Miteinander von Eltern und Kindern und auch die gesellschaftliche Einschätzung ändert sich also im Laufe der Jahre. Reaktionen, die Teenager-Eltern von ihren Mitmenschen bekommen, zeugen nicht mehr unbedingt von Verständnis, wenn diese darüber berichten, dass auch jugendliche Kinder beispielsweise Schwierigkeiten im Homeschooling, mit ihrer Motivation oder dem familiären Miteinander haben. Von Freundschaften, Hobbies und ihren eignen Wichtigkeiten ganz zu schweigen! Eigentlich seine Jugendliche alt genug zu wissen, worauf es ankomme und wie man sich am besten selbst organisiert. Und auch wir Eltern haben manchmal wenig Verständnis, wenn unsere erzieherischen Bemühungen noch immer keine Früchte tragen bzw. diese gefühlt wieder zu schrumpeln beginnen. 

 

In meiner familientherapeutischen Arbeit fällt mir zusätzlich immer wieder auf, dass der Umgang mit unseren jugendlichen Kindern häufig von Missverständnissen und Unverständnis geprägt ist. Dieses Unverständnis trifft übrigens nicht nur auf Eltern, sondern auch auf Kinder zu und trägt einen großen Teil dazu bei, dass ein Familienalltag zusätzlich verkompliziert und daher manchmal sogar schwer erträglich ist. 

 

Jugendliche tragen unglaublich viel Widersprüchlichkeit in sich, die hin und wieder so weit geht, dass sie diese Spannung selbst kaum aushalten können. Sie sind keine Kinder mehr und – obwohl sie im Laufe der Jahre einen voll entwickelten Körper bekommen – noch lange keine Erwachsenen! Aus der Neurowissenschaft weiß man, dass die Gehirnentwicklung, besonders die Areale, in denen es um Selbststeuerung, Organisation, planvolles Handeln und Strategieentwicklung geht, erst um das 20. Lebensjahr abgeschlossen ist.  

 

Wir Eltern brauchen daher viele Kompetenzen, damit wir unsere Jugendlichen gut durch diese stürmische Zeit begleiten können und wir selbst auch unbeschadet da durchkommen! Daher kann es sehr hilfreich sein, im ehrlichen Austausch mit anderen Familien zu bleiben, für sich selbst gut zu sorgen und sich hin und wieder (fachliche) Unterstützung zu holen. 

 

Auch wenn unsere jugendlichen Kinder uns Eltern häufig das Gefühl geben, dass wir stören, nerven und unnötig sind, wollen sie dennoch in Beziehung zu uns bleiben. Es ist ein Irrglaube, dass sie uns nicht brauchen und wir ihnen das stillschweigende Agreement geben sollten, dass sie alles alleine machen und entscheiden können. Sie brauchen die Auseinandersetzung mit uns, das Reiben mit unseren Werten und Ansichten, verhandelbare Grenzen sowie das selbstverständliche Übertreten dieser. 

 

Kurzum: sie brauchen uns als fehlbare und fehlermachende Menschen an Ihrer Seite, die trotz Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten, Herausforderungen und Stolpersteinen an sie glauben und sie letztlich in jeder Phase ihres Lebens insgesamt so akzeptieren wie sie sind. Das ist schwer, das führt uns an unsere eigenen Grenzen und zu vielen Stoßgebeten diversester Art. Und Du kannst mir glauben, ich weiß, wovon ich schreibe! 

 

Eine der schwierigsten und dennoch lohnendsten Aufgaben für uns Menschen ist es, die uns anvertrauten Kinder auch in ihren größten seelischen Leiden nicht aufzugeben, bei Ihnen zu bleiben, auch wenn sie noch so stachelig zu uns sind und darauf zu vertrauen, dass liebevolle, klare und auch zeitweise fordernde elterliche Beharrlichkeit eben doch unseren Kindern hilft, Ihren ganz eigenen Weg im Leben zu finden.

 

Denn alles, was wir als Eltern und Erwachsene tun, gibt unseren Kindern Orientierungshilfe in ihren emotional bewegten Zeiten. Was sie davon ablehnen und was davon hilfreich für sie ist, entscheidet jedes Kind ganz allein. Das ist höchst individuell und kann meist auch erst rückwirkend gesagt werden. Vergiss daher die Frage an Dich selbst, ob Du alles richtig machst oder machen wirst - diese Frage kannst Du per se und getrost verneinen. Doch „worauf es ankommt, ist, Fragen zu stellen, die unseren Teenagern zeigen, dass jemand wirklich Interesse an ihnen hat“ (Michael Carr-Gregg). Also immer wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, sich gemeinsam auszutauschen und auch konträre Ansichten gleichwürdig zu behandeln. 

 

Virginia Satir, eine international renommierte und leider schon verstorbene Familientherapeutin, die immer wieder faszinierende Brückenschläge zwischen den Generationen kreieren konnte, hat einmal gesagt „Jugendliche sind keine Ungeheuer. Sie sind lediglich Menschen, die versuchen, hier auf dieser Welt erfolgreich ihren Weg zu gehen, inmitten von Erwachsenen, die ihrer selbst manchmal gar nicht so sicher sind“. 

 

In diesem Sinne wünsche ich Dir und Deiner Familie ein schönes Wochenende,

herzliche Grüße,

Deine Corinna

Kommentar schreiben

Kommentare: 0